Stolz und Vorurteil

Es hätte so eine schöne Geschichte werden können. Eine, die belegt, dass sich schlechte Erfahrungen, Vorurteile und Irrwege überwinden lassen, wenn Menschen einander trotz allem mit Offenheit begegnen und sich auf gemeinsame Ziele besinnen. Es hätte so eine versöhnliche Jane Austen-Geschichte werden können zwischen Tierschützern und Jägern, als mich vor einigen Wochen ein junger Spanier anschrieb und nach einem meiner letzten Pflegehunde, dem schönen Ibicenco JULIUS, fragte.

Wie sich herausstellte, hatte JULIUS einmal ihm gehört; er hatte ihn als Welpe bekommen und im Alter von 7 Monaten bei der Jagd verloren. Er hatte ihn gesucht, aber ein anderer Jäger, vermutlich jedenfalls, fand und behielt ihn, bis JULIUS, eigentlich GANDUL, einige Monate später auch ihm davon lief – das belegten Kleinanzeigen, mit denen dieser Mann ihn wiederfinden wollte. Aber statt bei einem der beiden Vorbesitzer landete JULIUS im städtischen Tierheim von Tortosa. Das Tierheim hatte keinen Platz für einen so großen Podenco und bat uns, wie schon oft, um Hilfe. So kam JULIUS zu Podenco’s Help Filato,  wieder einige Monate später zu mir in Pflege und noch mal drei Monate später in sein neues Zuhause.

Der junge Jäger, dem eine gemeinsame Facebook-Bekannte den Tipp mit der Ähnlichkeit seines verlorenen Hundes mit meinem JULIUS gegeben hatte, war einfach nur erfreut zu hören, dass er über ein Jahr später am Leben ist und es ihm sehr gut geht. Und weil er sich so darüber freute, postete er dies auf seiner Facebook-Seite. Happy End of Story? Keineswegs.

Denn auf dieses Posting ploppten mit einem Mal alle Animositäten zwischen den Jägern (und ihren deutschen Groupies 😎 ) und Tierschützern ganz Spaniens an die Oberfläche. Nicht der junge Jäger stand in der Kritik, obwohl er seinen Hund nicht nur a) nicht gechipt und registriert hatte, wie es schon seit Jahren seine gesetzliche Pflicht wäre und b) offenbar auch nicht die Tierheime der Region (wir sind ca. 30 km entfernt vom Ort des ursprünglichen Entlaufens) abgeklappert hatte, wie man es erwarten würde. Nein, plötzlich waren wir es, die doch hätten wissen müssen, dass ein junger, gesunder Ibicenco sicher von jemandem vermisst würde. Anzeigen hätten wir schalten sollen; Aushänge hätten wir machen sollen; zu den Jägern hätten wir fahren sollen – also all das, was der Jäger selbst versäumt hatte … !!?! Auch in Deutschland ist es üblich, dass derjenige, der seinen Hund vermisst, selbst die Tierheime, die Polizei und andere Stellen kontaktiert.

Damit nicht genug. Vermutlich hätten wir, unterstellte man uns, sogar nie die Absicht gehabt, den Hund seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Wahrscheinlich würden auch wir zu den militanten Tierschutztanten gehören, die den Jägern die Hunde vom Hof klauen, ihre Chips rausschneiden und sie bei Nacht und Nebel nach Deutschland karren – bloß schnell weg von den „bösen Spaniern“!

Schwarz-weiße Welt auf links gedreht

Für einen Moment war ich sprachlos. Normalerweise umgibt mich eher die umgekehrt schwarz-weiße Häme, nämlich die der Tierschutztanten über die spanischen Jäger, die ihre Hunde brutal ausbeuten und wegwerfen. Über das, was die Jäger wohl von uns hundeverhätschelnden Hobby-Heldinnen halten, hatte ich mir bis dahin nicht viele Gedanken gemacht. Aber nun musste ich zugeben: Ein wenig konnte ich ihren Ärger oder zumindest dessen Entstehung verstehen …

Ich bin jetzt lange genug dabei, um zu wissen, dass es nicht wenige, über die sozialen Medien hypersensibilisierte Hundemuttis auf Mallorca-Urlaub gibt, die alles Vierbeinige ohne erkennbare Halterzuordnung von der Straße ziehen und in irgendein Tierheim schleppen – wo es nicht immer ganz einfach für die Besitzer ist, ihren leider meist ungechipten Hund wiederzufinden und die Besitzverhältnisse zu belegen. [Dabei war das in meiner Jugend in Deutschland auch nicht anders, kann ich mich erinnern; da trieb sich Nachbars Lumpi auch einfach so im Viertel rum – ohne Halsband, ganz sicher ohne Tasso-Marke, und ohne Frauchen in der Nähe. Wenn ich mir vorstelle, dass ihn da übereifrige spanische Touristinnen einfach eingesammelt hätten … 😎 ]

Ich kriege auch regelmäßig Wutpickel, wenn ich die wilden Geschichten auf Facebook lese, die jedem verletzten, unterernährten und/oder scheuen Fundpodenco gleich übelste Qualen von Jägerhand zuschreiben und diesem die Pest an den Hals wünschen. So ähnlich wie neulich dem Hund mit der Riesenbeule im Gesicht, der durchs Netz gejagt wurde, und von dem man behauptete, er sei von seinem Besitzer mit einem Stock geschlagen und zwei Jahre lang nicht behandelt worden. Hat ihnen das der vermeintliche Arschloch-Besitzer selbst erzählt? Oder woher weiß man das so genau?? Am Ende stellte sich heraus, es war „bloß“ Knochenkrebs, der den Hund entstellt hatte und kurz darauf auch das Leben kostete. Aber das interessierte dann schon niemanden mehr.

Sich verletzen oder krank werden kann ein Hund von ganz allein. A propos allein: Hunde, die sich nur ein paar Tage allein durchschlagen müssen, nehmen sehr schnell ab und schalten ebenso schnell auf Emergency-Modus um; sie sind immer auf der Hut und vorsichtig. Selbst Hunde, die direkt von ihrem langjährigen Besitzer im Tierheim abgegeben werden, sind dort unter Umständen erst mal scheu und vorsichtig, weil alles Unbekannte eben erst mal Angst macht. Und weil sie in ihrem bisherigen Leben einfach viel zu wenig kennengelernt haben. Das lässt aber doch nicht ohne Weiteres den Schluss zu, den ich täglich lesen muss: nämlich dass sie zuvor aktiv misshandelt wurden („der arme Hund, was hat man ihm nur angetan?“).

Ich weiß auch, dass manch engagierte Nordeuropäerinnen im spanischen Exil hin und wieder Hunde stehlen, deren Lebensumstände sie für unhaltbar befinden. Manchmal mag das in der Tat die letzte Rettung für den Hund sein; manchmal passiert das, nachdem sie alle legalen Wege erfolglos beschritten haben; manchmal möglicherweise aber auch nicht. Ich ahne auch,  dass viele Tierschützerinnen alles daran setzen würden, einen eingesammelten Podenco oder Galgo niemals seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Manchmal mag das zum Wohl des Hundes sein. Aber manchmal tun sie so einem Jäger, der seine Tiere nicht nur nach geltendem Recht, sondern sogar nach deutschen Sofahundehalter-Maßstäben akzeptabel hält (oder vielleicht zumindest für ihre Argumente zugänglich wäre) Unrecht und schüren Animositäten, die mich in dieser Debatte nun geballt trafen.

Ich erlaubte mir zu fragen, warum die Wut eigentlich so sehr unseren kleinen Verein traf, der formal nichts Unrechtes getan hatte, wo doch offensichtlich sogar ihresgleichen nicht zu trauen sei – nämlich demjenigen, der JULIUS beim ersten Entlaufen, bei dem er angeblich ein Halsband mit Telefonnummer trug, gefunden und unterschlagen hatte. Ihre Antwort: Es gäbe in Spanien rund 1,5 Millionen Jäger; natürlich seien darunter auch Arschlöcher und vermutlich sogar Tierquäler. Aha? Bingo!

Nämlich gar nicht wenige. Und genau die sind der Grund, warum manche Tierschutzaktivistinnen im Laufe der Jahre radikal und kompromisslos geworden sind. Trotz aller Aufklärung und Fortschritte in der Hundehaltung, die es zweifellos gibt, leben immer noch verdammt viele Podencos, Galgos und andere Jagdhunde in Spanien unter nach allen Maßstäben unwürdigen Umständen. Wenn sie auch nicht absichtlich gequält werden, so leiden sie zumindest unter massiver Vernachlässigung. Und wenn sie nicht mehr gebraucht werden, werden sie oft auf mehr oder weniger gleichgültige, feige oder grausame Weise entsorgt.

Wenn man, wie unsere Gabriela von Podenco’s Help Filato in der Nähe von Tarragona, beinahe jede Woche Jagdhunde einsammelt, die mit gebrochener Hüfte vor ihrer Pforte angebunden oder auf der Straße angefahren werden, aber nie jemand nach diesen Hunden fragt, dann verliert man wohl über kurz oder lang den Glauben daran, dass sie ihren Besitzern etwas wert sind. Und mit so einem, vielleicht  zum Krüppel gefahrenen Hund sollen wir dann über die Dörfer ziehen und fragen, ob ihn jemand zurück und vielleicht auch noch seine OP bezahlen möchte…?

Oder erwartet man so viel Aufwand von uns doch nur bei den jungen, gesunden, schönen, reinrassigen Hunden, die noch einen „Marktwert“ haben? Nicht unwahrscheinlich, dass diese dann womöglich plötzlich mehr als nur einen Besitzer hätten, der Ansprüche erhebt 😎

Wobei selbst Prachtexemplare wie JULIUS vor dem Aussortieren nicht gefeit sind. Auf Mallorca habe ich oft genug erlebt, dass auch Junghunde übrig sind und in den Tierheimen abgegeben werden – bestenfalls. Manchmal werden sie auch nur weiter und weiter verschenkt und vegetieren am Ende allein an irgendeiner Kette auf irgendeinem entlegenen Grundstück dahin. Oder sie werden noch als Welpe erschlagen, immer noch. Gerade vor kurzem erst telefonierte ich mit dem Sohn eines mallorquinischen Jägers, der die Überschussproduktion seines Vaters in Deutschland vermarkten wollte, um ihnen wenigstens das Leben zu retten.

Und nun?

Was macht man nun mit solch verhärteten Fronten und Pauschalverurteilungen? Wie bekommt man das mit dem Bade ausgeschüttete Kind wieder aus dem Schlamassel und groß gezogen?

In der aktuellen deutschen Flüchtlingsdiskussion hat irgendjemand es auf den Punkt gebracht:

Ohne Vorurteil bist Du erst dann, wenn Dir 9 Nordafrikaner hintereinander das Handy geklaut haben und Du dem 10. trotzdem nicht schon prophylaktisch auf die Fresse haust.

Get the message? Nicht ganz einfach danach zu leben, ich weiß, aber Recht hat er.  Nicht alle spanischen Jäger sind schlechte Hundehalter oder gar Tierquäler. Nicht alle Tierschutztussis sind militant 😉 . Differenzieren tut auf beiden Seiten Not, und dazu muss man miteinander reden! Insbesondere, wenn man die Welt für mehr als ein paar Einzelfälle verändern will. Und sollte die gemeinsame Liebe zu den Podencos die Parteien dabei nicht am besten einen können? Nämlich, wenn die guten Jäger und die guten Tierschützer den Schlechten in beiden Lagern gemeinsam den Kampf ansagten …?

Und natürlich wenn, ganz banal, die guten Jäger ganz offenkundig und konsequent die Verantwortung für ihre Tiere übernehmen würden, lebenslang. Für nur ca. 30 Euro hätte JULIUS fast automatisch den Weg zurück zu seinem Herrchen gefunden. Verletzt oder gesund, in jedem Fall. Nämlich mit einem Chip und dessen Registrierung!

P.S.

Ich denke, das nächste hilfsbedürftige Podipärchen werde ich BENNET und DARCY nennen. Damit ich die Botschaft selbst nicht vergesse.

Ein Gedanke zu “Stolz und Vorurteil

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