Draw the Line!

Da bin ich wieder, wenn auch nicht mehr ganz die Alte. Zweieinhalb Jahre war ich offline. Zweieinhalb wilde, zum Teil wunderschöne, vor allem aber kraftraubende und schmerzhafte Jahre, die mich weit über meine Grenzen hinaus getrieben haben.

Kurz vor 50 habe ich noch einmal eine Beziehung mit einem Mann gewagt. Es hat nicht funktioniert. Und Schuld haben, zumindest vorgeblich, meine Hunde.

Den Fallstrick Hunde für eine Liebesbeziehung kannte ich schon, und ich dachte, ich sei dieses Mal vorbereitet.  In dem Single-Portal, in dem wir uns im März 2018 begegneten, hatte ich – wissend, dass es die meisten Kandidaten abschreckt – extra ein Bild mit Hund eingestellt und klar gemacht, dass ich nicht erwarte, dass ein Mann diese Leidenschaft teile.  Nur, dass er akzeptieren müsse, dass sie mein Hobby und meine Verantwortung sind. Joschi schrieb mich gerade wegen des Hundes an:

„Ich wollte mich jetzt nicht klassisch bewerben. Aber wenn du gefunden hast, was du suchst, würde ich solange den Hund nehmen.“

Unter all den einfallslosen Copy+Paste-Nachrichten, die ich schon ewig nicht mehr beantwortet hatte, war diese auffallend anders, so ganz ohne romantische Verklärung, kurz und frech, vermeintlich persönlich, und sie ließ auch noch darauf schließen, dass er Hunde mag.

In den folgenden Wochen riss mich alles an ihm mit: Er war zufällig genau mein Typ. Vor allem aber war es sein smarter, kreativer Kopf; sein Witz; seine Wortgewandtheit; seine Sensibilität und Wahrnehmungsschärfe; und sein Interesse an ausgerechnet mir, die mich flashten. Es schien, als sähe mich zum ersten Mal jemand komplett in allen Facetten – und wolle mich gerade deshalb an seiner Seite. Einschließlich der ganzen Meute. Meine über viele Jahre sorgsam aufgetürmten Schutzmauern fielen einfach in sich zusammen. Ich war total verliebt, ebenso wie er.  Ein Gefühl der Verbundenheit, des Gleichklangs, wie ich es noch nie zuvor empfunden hatte. 

Zu schön, um wahr zu sein„, habe ich durchaus das ein oder andere Mal gedacht. Heute weiß ich: Was zu schön ist, um wahr zu sein, ist es wahrscheinlich auch nicht.

Die ersten Anzeichen, dass so viel Licht auch Schatten wirft, gab es früh. Nicht ahnend, dass ich es hier mit Zügen einer veritablen Persönlichkeitsstörung zu tun haben könnte, löste dies zunächst nur Verwunderung bei mir aus. Ich dachte, so stark seine positiven Emotionen sind, so stark sind eben auch die negativen, auch wenn ich nicht verstand, wie Nichtigkeiten derart ungehaltene Reaktionen provozieren konnten.

Zum Beispiel, als wir nach ca. zwei Wochen Online-Chat zum ersten Mal telefonierten, zwischen 1 und 2 in der Nacht.  Das Gespräch war toll und dauerte lang. Dann war mein Handy-Akku leer, ich stöpselte das Ladekabel ein, und das Handy pingte kurz, um anzuzeigen, dass es nun geladen wird. Er legte sofort auf – und schrieb mir eine WhatsApp-Nachricht: Ich würde noch mit anderen Männern chatten mitten in der Nacht, das ginge gar nicht.  Was für eine seltsame Anschuldigung, im allerersten Gespräch? Oder als er kurz darauf auf einer Radtour – verärgert, dass ich ihm darüber widersprochen hatte, ob der 1. November in NRW in unserer Jugend schon Feiertag war – 25 km vor unserem Ziel wortlos abbog, davonrauschte und nicht mehr erreichbar war. Oder seine sonderbare Eifersucht auf den Mann, den ich in den 90ern liebte. Seine regelrechte Panik, als ich nach wenigen Wochen unserer Affäre für 10 Tage mit Freundinnen in den Urlaub fuhr. Die Tatsache, dass er eigentlich nie ans Telefon ging, wenn ich ihn anrief, sodass ich irgendwann jeden Versuch einstellte. Seine unumstößliche Annahme, dass jedes neue Profilbild oder Stück Unterwäsche gar nicht für ihn bestimmt sei, sondern für einen imaginären Liebhaber. Oder als er es nicht mehr ertrug, mit mir per WhatsApp zu kommunizieren, weil man dort sehen kann, ob jemand online ist, und er sich ausmalte, ich würde mit anderen Männern chatten und ihn verhöhnen.  Während ich mit einer Schulfreundin im Biergarten saß oder mit einem alten Kumpel mittags in Köln am Dom Pommes aß, bekam ich bösartige, völlig aus der Luft gegriffene Nachrichten, dass ich sicher „gerade einen dicken Negerschwanz ficken“ würde oder anderes unter der Gürtellinie. Ein Gegenbeweisfoto wurde als „sicher alt“ abgetan.  Wenn ich nicht schnell genug reagierte auf eine seiner Nachrichten, ging seine Fantasie vollends mit ihm durch. Auf diese Weise schaffte er es, mir so gut wie jeden Abend, den ich mit anderen Menschen als ihm verbrachte, zu verderben, sogar berufliche Veranstaltungen.  Aber selbst während ich in Jogginghose auf dem Sofa saß und mit ihm chattete, konnte seine Stimmung ohne erkennbaren Grund sekündlich umschlagen und er verbal um sich schlagen; oft hatte er dann getrunken, nehme ich an.

Ich stand unter Dauerstrom, immer bereit zu beschwichtigen, auch wenn das natürlich nicht funktionierte und er mich in viel zu vielen Nächten verzweifelt und schlaflos zurückließ. Am nächsten Morgen hatte er seine verbalen Ausfälle dann oft vergessen – wie Dr Jekyll und Mr Hyde. Manchmal erschrak er selbst über das Geschriebene, manchmal gab es eine halbherzige Entschuldigung. Eine Klärung von Bestand war jedoch nie möglich, schon weil jeder Anflug von Erwartung, gefühlter Zurückweisung oder Kritik an ihm schnell wieder in Wut und Flucht mündete. Und diese Flucht führte ihn oft direkt wieder ins Internet oder sein gut gefülltes Adressbuch, auf der Suche nach Bestätigung durch andere Frauen.

Ich hingegen konnte sein Misstrauen nie entkräften. Das fühlte sich umso absurder an, als er es war, der schon zu Anfang gar nicht frei war. Er hatte sich in seinem Online-Profil als getrennt lebend ausgegeben; das stimmte zwar räumlich, weil er zwei Jahre zuvor aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war. Ansonsten hielt zumindest seine Frau noch an ihrer Ehe fest, und er spielte – auch wegen der gemeinsamen Firma – irgendwie mit. Das erfuhr ich allerdings nur, über Monate gestreckt, in schmerzhaften kleinen Dosen, wenn er mal wieder mit seiner Frau auf eine Hochzeit oder auf Reisen ging.

Erst als sie(!) nach einem halben Jahr unserer Liaison ihre letzte Hoffnung auf eine Wiedervereinigung begrub und sich endgültig von ihm trennte, war der Weg für ihn und mich frei, ein richtiges Paar zu werden – aber da standen dann plötzlich meine Hunde.

Zuerst war es ihre Anwesenheit beim Essen. Dann ein leichtes, allergisches Kratzen im Hals. Irgendwann kam er gar nicht mehr zu mir; irgendwann waren wir nur noch bei ihm, ohne Hunde. Ich engagierte eine Nachbarin als zweiten Sitter und baute eine Hundeklappe ein, damit ich entspannt bis zum Frühstück oder übers Wochenende bei ihm bleiben konnte, und habe die Hunde problemlos auch für gemeinsame Reisen untergebracht.

Mit Hundegeschichten belästigt hatte ich ihn ohnehin nie; irgendwann hab ich das H-Wort nicht mal mehr in den Mund genommen. Irgendwann genügte es aber schon, wenn sich ein Hund während des Telefonierens räusperte, damit er unvermittelt auflegte. Drama und böse Worte auslösen konnten auch Fotos, auf denen ein Vierbeiner zu sehen war. Und während man denken könnte, der Höhepunkt der Demütigung sei, dass er die Tiere mit Liebhabern verglich und für sich reklamierte, dass jede Nacht, die ich zu Hause, also bei ihnen verbrachte, ihm das Recht gäbe, „über eine andere Frau zu steigen„, fand auch das noch seine Steigerung.

Als ich einen wieder mal grotesken Problem-Chat um ein zu buntes Radtrikot, mit dem ich sicher wieder nur Männer an der Ampel aufreißen wolle, freundlich aber bestimmt abbrach, um mitten in der Nacht mit meiner plötzlich totkranken GILDA im Taxi (weil mir jemand in der Nacht zuvor vor seiner Haustür den Reifen zerstochen hatte 🤨) in die Tierklinik zu fahren, bekam ich inmitten meines Abschiedsschmerzes statt Hilfe und Anteilnahme die folgende Nachricht von ihm:

„Und Zack! bin ich wieder das Arschloch! Wie kann das gehen? Selbst sterbende Tiere werden noch genutzt, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen und wieder gehe ich aus diesem Tag als gefühlter Unmensch. Das bin ich nicht. Die Unmenschen seid ihr!“

Ich halte ihn noch immer nicht für einen „Bunny Boiler“. Ich denke, die Hunde waren nur Stellvertreter; ein vorgeschobener Grund, um seine enormen Bindungs-, Verlust- und sonstigen Ängste zu bestätigen und immer wieder Distanz zu mir schaffen zu können. Hätte ich keine Hunde gehabt, hätte er andere Gründe gefunden – ich weiß es heute, ich ahnte es damals. Dennoch habe ich es viel zu lange nicht geschafft die Reißleine zu ziehen.  Und ich schäme mich, seiner Wut keine Grenzen gesetzt zu haben und nicht vehementer für meine Tiere eingestanden zu sein, ohne deren Trost ich diesen Wahnsinn vielleicht gar nicht so lange ertragen hätte. 

Ich habe es ja nicht mal geschafft, für mich selbst einzustehen. Für meine Werte, meine Wünsche und Bedürfnisse, weil es meist nur um seine ging. Ja nicht mal für meine Wahrnehmung, der ich kaum noch traute. So wenig, dass ich ihm beinahe eine völlig abwegige Geschichte geglaubt hätte,  als ich ihn, an einem Dienstagmittag um Zwei im Oktober, nichtsahnend in flagranti antraf: zwei Sektgläser links und rechts neben unserem Bett und davor ein gebrauchtes Kondom … filmreif.  Heute weiß ich gesichert, dass das natürlich nicht das einzige Mal war, und dass die Promiskuität, die er mir vom ersten Tag unterstellte, vor allem Projektion von sich auf mich war.

Just one sick puppy

Ich hab mich komplett verloren in diesem manipulativen Daueralarm aus Love Bombing im Wechsel mit solch irrsinnigen Projektionen; Ranziehen und Wegstoßen; Idealisieren und Abwerten; On und Off; das Hirn vernebelnden paradoxen Doppelbotschaften; radikaler Egozentrik; verbaler Gewalt; Schuldumkehr und Gaslighting – und seiner Unfähigkeit zu allem, was für eine gesunde, tragfähige Liebesbeziehung unabdingbar ist: Vertrauen und Ehrlichkeit, Empathie und Respekt, Reziprozität und Konfliktfähigkeit, Frustrationstoleranz und Impulskontrolle, Commitment und Verantwortung. Ich dachte, wenn ich mich nur noch ein kleines bisschen mehr anstrenge und verbiege;  lerne, noch mehr zu schlucken und noch besser seine vielen Trigger zu vermeiden, kommen wir irgendwann in stabilere Zustände. Ich war co-abhängig, gefangen irgendwo zwischen Helfer- und Stockholm-Syndrom. Und süchtig nach der unglaublichen Nähe, die er in den symbiotischen Stunden immer noch vermitteln konnte, der vermutliche Borderliner. Mit wertschätzender, partnerschaftlicher Nähe zwischen Individuen und einer erwachsenen Form von Liebe hatte all das jedenfalls nichts zu tun. 

Wenn ich das hier überstanden habe, werde ich nie wieder jemandem so viel Macht über mich geben, das verspreche ich. Meinen Hunden. Und vor allem mir selbst.

 

Lesens-/Hörenswert: 

Podcast über toxische Beziehungen

Podcast über Borderline

Was ist Borderline

Was ist eine Borderline-Beziehung

Ablauf einer Borderline-Beziehung

Noch ne wahnsinnig treffende Beschreibung

Zum tiefergehenden Verständnis

Was Partner von Borderlinern wissen sollten

Beschreibendes Video über Borderline

Abwehrmechanismen des Borderliners

Mal Schwarz, mal Weiß – die Spaltung

Unterscheidung Narzisst – Borderliner

Trennung von einem Borderliner

Beziehungskiller Symbiose

3 Gedanken zu “Draw the Line!

  1. Liebe Podifee,
    Deine Lebensgeschichte hat mich sehr bewegt. Ich habe diese Erfahrungen 17 Jahre lang gemacht. Nun ist mein Mann tot. Mir hat die Seite Herzsplitter sehr geholfen zu verstehen. Wenn du magst schreib mir einfach. Möchte hier nicht so viel dazu schreiben.
    Liebe Grüße
    C.

  2. Oh je…bin beim googlen auf Deinen Blog gestoßen…
    Hatte einen Typen bei Tinder kennengelernt und er kam mir nach kurzer Zeit schon ziemlich schräg vor. Es war das totale Drama ähnlich wie bei Dir. Wie viele solcher Typen laufen da draußen eigentlich herum?
    LG Fee

    • Sehr viele, in unterschiedlichen Störungsgraden und -ausprägungen, fürchte ich, und auf Tinder & Co. treten sie geballt auf. Das Einzige, was schützt, ist wohl, sich möglicher eigener ungesunder Muster bewusst zu sein und beim ersten Bauchgrummeln – i.e. bei der ersten gravierenden Grenzüberschreitung oder dem ersten Handeln gegen die eigenen Standards und Werte – konsequent abzubrechen. Es wird voraussichtlich nicht besser …

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