Zweifelhafte Sicherheit

Auf die Gefahr hin, dass ich mich unbeliebt mache: Ich muss nun doch mal warnen vor dem im Tierschutz allgegenwärtigen Sicherheitsgeschirr-Wahn. Weil ich ihn – welch Ironie – gefährlich finde.

Sobald ein Tierschutzhund, womöglich gar aus dem Ausland, entläuft und dabei nur ein Halsband trägt, gehen sie los, die Besserwisser-Tiraden der typischen Tierschützer*Innen in den sozialen Medien, dass das doch mit Sicherheitsgeschirr sicher nicht passiert wäre.

Unsinn, sage ich. Denn – und das finde ich wirklich nicht so schwer zu verstehen: Wenn ein Hund das Halsband auch nach dem Entlaufen noch trägt, dann hat das Entlaufen ganz offensichtlich nicht am Halsband gelegen. Ergo hätte ein Sicherheitsgeschirr das auch nicht verhindert! Get my point?

Noch deutlicher wird es vielleicht, wenn der Hund gleich im Sicherheitsgeschirr entläuft – so geschehen bei unserem AMIR, der in voller Sicherheitsmontur aus der nachlässig geöffneten Haustür schlüpfte und viele Wochen, Nerven und leider auch Knochenbrüche später erst mit einem Betäubungspfeil gesichert werden konnte:

In diesem Zusammenhang darf man sich sehr wohl fragen, wieviel Sicherheit so ein Sicherheitsgeschirr bieten kann, wenn es ganz ohne Leine im Haus, oder oft auch auf Auslaufwiesen gesehen, getragen wird. Im Gegensatz zum Halsband, das m.E. immer und überall sinnvoll ist, bringt das Geschirr dabei nämlich den Hund und sich selbst (also das Geschirr, weil der Hund es im Gegensatz zum Halsband bequem am Körper zerlegen kann) eher unnötig in Gefahr.

Sicherheitsgeschirre erfüllen genau zwei Zwecke, und die absolute Sicherheit eines Hundes gehört nicht dazu:

  • Wie jedes andere Führgeschirr schützen sie die Halswirbel eines ungestümen Hundes vor allem an einer Langlaufleine, weil sie eben nicht am Hals ansetzen und
  • – das ist der Unterschied zu anderen Geschirren: Sie verhindern – vorausgesetzt, sie schließen den Brustkorb gut ein und sind ordnungsgemäß verschnallt -, dass der Hund sich bspw. in einem Panikmoment rückwärts aus dem Geschirr ziehen kann, wie er das bei einem gängigen Norwegergeschirr problemlos könnte. Ergo: Wenn Geschirr, dann bitte ein Sicherheitsgeschirr. Das ist aber auch schon alles. Vor allem an Sicherheit, die sie MEHR bieten.

Und dieses Mehr – die Ausbruchsicherheit aus dem Geschirr – ist bei Weitem nicht so relevant, wie viele glauben (lassen) wollen, denn die allermeisten Hunde entlaufen eben nicht, indem sie sich rückwärts aus einem Geschirr winden, sondern vielleicht, weil sich der Karabiner der Billigleine verhakt und geöffnet hat, vielleicht ist die Leine auch gleich ganz gerissen, weil sie alt und morsch war, oder – am wahrscheinlichsten – der Mensch am Ende der Leine hat gepennt und die Leine losgelassen! Wenn der Hund nicht gleich durch die o.g. Haustür oder den Spalt unter der Kofferraumklappe geschlüpft ist.

Ein stabiles Schnallenhalsband, das so eng gestellt ist, dass der Hund sich mit dem Kopf auf gar keinen Fall hinausziehen kann (bei sehr schmalköpfigen Hunden wie z.B. Galgos zugegebenermaßen nicht ganz einfach), ist technisch betrachtet erst mal nicht weniger ausbruchsicher als ein Sicherheitsgeschirr. Oftmals habe ich mit einem Halsband, an der kurzen(!) Leine, sogar mehr Kontrolle über und Gefühl für den Hund. Und wenn das Anziehen eines Sicherheitsgeschirrs bei Ankunft aus dem Ausland nicht unter nahezu hermetisch abgeriegelten Umständen geschieht, hat es wenig Mehrwert, behaupte ich, sondern ist, ganz im Gegenteil, ein Sicherheitsrisiko – wie viel zu oft beobachtet in der Ankunftshalle von Flughäfen.

Sicherheitsgeschirre, aufgrund ihres Namens und weil ihre Bedeutung in der Tierschutzszene so überbetont wird, wiegen m.E. viele Neuadoptanden in falscher Sicherheit. Die Sicherung eines Hundes ist und bleibt auch mit ausbruchsicherem Sicherheitsgeschirr immer nur so gut wie das schwächste Glied in der Kette; und das steht eben in den allermeisten Fällen am Ende der Leine. Die Verantwortung bleibt beim Menschen!

Mein Appell daher an meine Mit-Tierschützer*Innen: Macht den Neuhundehaltern klar, dass das Sicherheitsgeschirr gut und wichtig ist, aber für sich allein gar nichts garantiert und nur ein kleiner Baustein einer ordentlichen Sicherung ist.



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