Jetzt aber los!

Ich habe ein Problem. Ich kann nicht loslassen.

Erst vor ein paar Tagen wieder: Zwei triebige 30kg-Ibicencos an 8m-Flexileinen im wildreichen, verschneiten Hochsauerland, die obligatorische Rehsichtung – und schon katapultierten sie mich meterweit nach vorn, bis ich schließlich auf dem Wald- und Hosenboden ankern konnte. Dank meiner seit langem reflexfreien Schraubstockkrallen hatte ich die Hunde(leinen) dabei allzeit fest im Griff – und Podencos wie Reh blieben wohlauf. Das war mir durchaus ein paar blaue Flecke wert.

Was bei Podencos eine verantwortungsvolle Sache ist, erweist sich sonst im Leben als weniger hilfreich: Nämlich das krampfhafte Festhalten an Besitzständen, Menschen und anderem Liebgewordenen, die einem nicht mehr gut tun oder man im Grunde längst verloren hat.

Bewusst ist mir das eigentlich schon, seit vor rund 30 Jahren ein Magnet unseren Londoner WG-Kühlschrank zierte mit der Aufschrift:

If it walks out the fridge, let it go.

Oder frei nach Oma: Reisende soll man nicht aufhalten.

Schöner hat es wohl nur der olle Konfuzius formuliert:

Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir.

Lebensmittel, denen Beine gewachsen sind, kommen zum Glück eher nicht zurück. Podencos in der Regel schon, früher oder später, wenn nichts dazwischen kommt, aber das Risiko für ihre Gesundheit und die ihrer Zielobjekte ist doch recht hoch, deshalb behält die leiderfahrene Podencohalterin sie gemeinhin lieber unter Kontrolle und in Sicherheit.

Vermutlich war es ein ganz ähnliches Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit mit der darunter verborgenen Angst, wegen dem in meinen 30ern anstelle eines Mannes der erste Podenco bei mir einzog. Und ich denke, das könnte noch auf etliche andere Hundehalterinnen zutreffen: Ein Hund erfüllt halt auch Bindungswünsche, ist dabei aber halbwegs kalkulierbar und seine Zuneigung sicher, und gegen die Verlustangst hilft die Leine 😎

Seit jeher fällt es mir wahnsinnig schwer, mich zu trennen. Von Jobs, von Orten, von Dingen, von Tieren natürlich, von Menschen, von Gefühlen für Menschen, von allem. Ich löse mich immer erst dann, wenn wirklich so gar keine Hoffnung auf ein Happy End mehr besteht (wirklich überhaupt gar keine) oder, schlimmer noch, mir die Entscheidung abgenommen wird. Denn meine eigenen Entscheidungen sind für immer. So ganz genau hab ich noch nicht verstanden, warum ich aus meiner Kindheit und Jugend diesen Glaubenssatz mitgenommen habe, der das Aufgeben verbietet („das muss doch gehen!„) und mich lieber trotzig im Elend verharren lässt, als den Kampfschauplatz freiwillig zu verlassen und etwas Neues zu beginnen, das tatsächlich glück(lich mach)en könnte.

Und es ist wohl leider auch kein Zufall, dass ich mich dabei gerne für das Unpassende entscheide, vor allem bei Männern: Unbewusst, aber zielsicher verliebe ich mich meist in die, mit denen es schwierig wird – sei es, weil sie schon vergeben sind oder weit weg wohnen, eine handfeste Bindungsstörung haben, zumindest aber bindungsunwillig sind, oder alles zusammen. Und dann kämpfe ich mit Inbrunst und bis zur Selbstaufgabe um genau die Kontrolle und Sicherheit, die mit Sicherheit nicht eintreten werden, weil ich womöglich die noch größere Angst habe vor dem selbst auferlegten Ewigkeitsanspruch, denn eigentlich will ich mich ja auch mit gut 50 noch gar nicht festlegen, wie ich leben will, wenn ich mal groß bin. Angst davor, neu anzufangen, allein zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen und die Verantwortung für mich (und für so viele Füße mehr) zu tragen, habe ich ja gar nicht; schließlich hab ich das schon 1000mal gemacht. Hä?? Ja genau: Ich lege mich fest, weil ich mich nicht festlegen (lassen) will. Ich lasse nicht los, denn wenn er schon vor mir flüchtet, brauche ich das ja nicht mehr zu tun und darf weiter glauben, ich hätte es ja gewollt. Ganz schön verkorkst …

Ein hartes Los

Aber was mache ich nun mit dieser Erkenntnis? Wie lerne ich das Loslassen des Unhaltbaren und das Festlegen (und Beschränken) auf den oder das Richtige?

Übung: Loslassen durch festes Schrauben.

Womöglich brauch ich neben dem Bewusstsein und dem festen Willen dazu auch Übung. Bei Dingen werde ich allmählich besser: Einmal im Jahr lasse ich einen Container kommen und entsorge nach kurzer Überwindung alles, für das in meinem Leben und Schrank kein Platz mehr ist. Den unbefriedigenden Job habe ich gerade unfreiwillig, aber ersehnt verloren und nun eine neue Chance, endlich eine sinnstiftende Aufgabe zu finden, die gut zu mir passt, weil ich mich inzwischen hoffentlich gut genug kenne. Und bei Männern? Da hab ich leider die größten Zweifel, ob ich mich jemals wirklich an jemanden binde, bei dem ich durch die rosarote Brille nicht gleich ein Meer von roten Flaggen übersehen muss und mit dem eine stabile, gesunde Beziehung möglich ist. Vielleicht in 10 oder 15 Jahren, wenn der Rest des Lebens nicht mehr ganz so bedrohlich lang ist …

Nur mit Hunden, da ist es so einfach. Da konnte für immer schon immer nicht lang genug sein, obwohl sie mir gut tun. Sie sind mein stabilstes und größtes Glück – und auch ich bin für sie hoffentlich kein ganz hartes Los, selbst wenn der Freilauf manchmal drunter leidet 😉

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