Ich bin bequem, ich geb’s zu. Ein fester Tagesrhythmus gibt Sicherheit und erspart lästige Entscheidungen. Und so gehen wir zu Hause meist die immergleichen Gassirunden, direkt vor der Haustür: Schön flach, weil am Rheinufer entlang; mit möglichst wenig Mensch- und Tierbegegnungen. Alles easy, überschaubar, kontrollierbar.
Wer sich weiterentwickeln will, muss die Komfortzone allerdings auch mal verlassen, und Entwicklung tut in meinem Leben gerade Not. In Gedanken hatte ich deshalb schon lange von einer Fernwanderung geträumt, am liebsten in den Bergen. Einmal nicht im Kreis gehen, sondern neue Ziele setzen und neue Wege beschreiten. Vorwärts kommen, Hindernisse überwinden, den Horizont erweitern.
Aber wie bloß, mit Hunden? Für den Jakobsweg fehlt mir die Zeit. Auch der berühmte E5 von Oberstdorf nach Meran ist weder vom Gelände noch von den Übernachtungsmöglichkeiten mit Hunden machbar. Und viel Lust, einen Sack Hundefutter über die Berge zu schleppen, hatte ich ehrlich gesagt auch nicht. Zum Glück gibt es heutzutage ja Dienstleister für fast alles, und so fand ich im Netzdschungel der Reiseanbieter eine Alpenüberquerung für Menschen mit Hund – von Profis ausgearbeitete Routen, arrangierte Hotels und Transfers, alles hundefreundlich natürlich, und vor allem organisierter Gepäcktransport von Ort zu Ort. Selbstfindung light mit Hund, sozusagen.
Und so marschierte ich los, Anfang September, vom Königssee in Oberbayern durch die Steinberge in den Salzburger Pinzgau Richtung Hochkönig; weiter über das grüne Gasteinertal auf die Höhen des Nationalparks Hohe Tauern und hinab ins Mölltal, und von dort vorbei an wunderschönen Seen bis nach Velden am Wörthersee. Rund 150 Kilometer und 5.000 Höhenmeter an 8 Wandertagen. Mit dabei: Eine sorgfältig zusammengestellte Ausrüstung, dachte ich, zwei große Hunde und ein mittelgroßer innerer Schweinehund.

Meine Hunde NEPOMUK und SMILODON sind Podencos vom Typ Ibicenco, je rund 30 kg Knochen und Muskeln gestreckt auf 75 cm Schulterhöhe. Sie stammen aus dem Tierschutz, genauer von Mallorca, wo sie schon als Junghunde ausrangiert wurden. Nepomuk, weil er womöglich zu ängstlich für die Jagd war; Smillo vielleicht bloß überflüssig, weil er ein Rüde ist und die Jäger lieber mit Hündinnen jagen. Sensibelchen Nepomuk lebt schon seit 5 Jahren bei mir und hat sich in dieser Zeit zu einem fast normalen Hund entwickelt; eine Herausforderung würde der lange Marsch vermutlich dennoch für ihn werden. Smillo hingegen hatte ich erst wenige Wochen vorher bei mir aufgenommen; bis dahin hatte er sich als stets gut gelauntes, robustes Pony mit grenzenlosem Urvertrauen gezeigt, aber so 100prozentig kannte ich ihn natürlich noch nicht. Und der Schweinehund? Den würde ich erst noch kennenlernen …
Es geht (schon Scheiße) los
Die erste Erkenntnis meiner Reise ereilte mich noch vor dem Start: Es gibt Gründe, warum viele Hundehalter früher oder später das Camping für sich entdecken. Gerade erst hatte ich im Hotel am Königssee eingecheckt, da wälzte sich Smillo auf der letzten Pinkelrunde auch schon in etwas, das sich schnell als menschliches Stoffwechselprodukt herausstellte. Und mit einem optisch und geruchlich weithin erkennbar eingesauten Hund an der Rezeption vorbei aufs Zimmer schleichen und ihn, fluchend und gegen die eigene Übelkeit ankämpfend, mit den begrenzten Möglichkeiten, die Shampoo und Klopapier bieten, wieder gesellschaftsfähig machen – so hatte ich mir den Beginn meines Alpentraums wahrlich nicht vorgestellt.
Schwamm drüber … es geht los! Nach einem kurzen Transfer in einem nicht gerade für den Transport von zwei Riesenhunden ausgelegten Taxi führte uns die erste Tagestour von Ramsau rund 20 Kilometer um den idyllischen Hintersee, durch den Nationalpark Berchtesgaden über die österreichische Grenze bis hinunter nach Lofer im Saalachtal. Eine atemberaubend schöne Tour, mit ein paar ersten steilen Anstiegen – und einer noch steileren Lernkurve.
What not to bring
Zum Beispiel lernte ich schon in den ersten Minuten, dass der Packrucksack, den ich eigens für Smillo gekauft hatte, völlig unbrauchbar war für einen so lebhaften, zugfreudigen und schmal gebauten Hund. Und ich lernte, dass man auch für den Zugriff auf schon heruntergeladene GPS-Daten zumindest zu Anfang kurz Mobilnetz braucht. Das gab es hier aber nicht; nicht mal ganz schwach, nicht eine Minute. Statt den Sprachanweisungen meiner Handy-Wander-App aus der im Außenfach meines Tagesrucksacks platzierten Taschenlampen-Powerbank-Lautsprecher-Wahnsinnskombi folgten wir also dem Retro-Reisehandbuch des Veranstalters. Digital Detox – nicht ganz freiwillig, aber leichter als gedacht.
Mehr als am Mobilnetz fehlte es uns deshalb an ganz anderem: Im Nationalpark Berchtesgaden fanden wir nicht nur keine Gemsen und Bartgeier, sondern auch keinen einzigen Mülleimer! Und ein bei 25 Grad Celsius zum Himmel stinkender Kotbeutel am Gürtel mindert die Freude an der Aussicht doch ziemlich. Auf meiner Packliste fürs nächste Mal steht seither ganz oben eine luftdichte Kotdose.
Dafür hatte ich faltbare Trekkingstöcke dabei. Leider harmonierten die nicht besonders mit den beiden Ruckdämpferleinen an meinem Bauchgurt: Der Faltmechanismus des einen fiel noch an Tag Eins einem zur Seite springenden Smillo zum Opfer und komplett auseinander. Der zweite erwies sich noch zwei weitere Tage als recht hilfreich, vor allem im Eingrenzen der Hunde bei entgegenkommenden Menschen auf schmalen Wegabschnitten, dann war auch er hinüber. Egal, Ballast abzuwerfen wirkt befreiend.
Nach dem ersten schweißtreibenden Anstieg hatte ich mich auf ein kaltes Getränk und einen Kaiserschmarrn auf einer Almhütte gefreut. Mit zwei großen Hunden wollte mich der Wirt allerdings nicht auf die Terrasse lassen, bot mir aber an, mich durchs Fenster zu bedienen. Och nee, so nicht – ich verzichtete dankend und teilte mir lieber mit Nepomuk und Smillo lauwarmes Wasser und ein paar Kaminwurzen aus dem Rucksack.



Begrenzt hundefreundlich zeigte sich einige Stunden später auch die spektakuläre Seisenbergklamm. Ein Naturwunder, keine Frage, aber mit Geisterbahn-Feeling, zu Fuß, auf Holzstegen: Es war dunkel, laut, nass, rutschig, eng und irgendwie gruselig. Fast war ich überrascht, wie bereitwillig sich meine Zwei hindurchführen ließen. Womöglich war ihnen aber zu diesem Zeitpunkt eh schon alles egal. Angekommen am Etappenziel, über einer mit zwei völlig erschöpften Hunden geteilten Pizza, war mir endgültig klar: Das hier wird kein Spaziergang.
Kein Spaziergang
Auch eine Alpenüberquerung braucht einen Spannungsbogen. Und da der erste Tag an landschaftlicher Schönheit und Abwechslung schwer zu überbieten war, steigerte Tag Zwei vor allem die Steigung – und die Zahl der Tierbegegnungen. Während ein dicht über uns kreisender Steinadler mein Herz und die Hunde vor Begeisterung kurz hüpfen ließ, waren die folgenden Kontakte weit weniger erfreulich.
Gleich an der ersten von unzähligen, nicht für Hundepfoten gemachten Trittleitern schloss der ungeübte Smillo Kontakt mit dem Weidezaun. Dummerweise verknüpfte er den Schock des Stromschlags offenbar auch mit dem neugierigen Jährling, der uns direkt hinter dem Zaun begrüßte. Jedenfalls wollten beide Hunde nur noch weg – konnten sie aber nicht. Das Pferd hingegen konnte weg, wollte aber nicht. Der schöne Rappe klebte an uns und ließ sich weder durch Klatschen, Großmachen noch mein verzweifeltes Betteln vertreiben. Und so stand ich eine gefühlte Ewigkeit zwischen Hunden und Pferd und wusste nicht weiter. Etliche Wanderer passierten uns – die einen hatten Angst vor dem Pferd, die anderen vor den Hunden, manche vielleicht auch vor der hysterischen Frau dazwischen. Nur eine einzige Frau, etwa in meinem Alter, zögerte nicht, eilte uns zu Hilfe und blockte das Pferd, damit ich auf allen Vieren, die Vierbeiner im Schlepptau, den steilen Hang hinaufklettern konnte …



Im Verlauf des Tages ließen uns die meisten anderen Viecher in Ruhe, und wir wurden allmählich cooler und professioneller im Überwinden der verschiedensten Weidegattertypen. Übermutig holte ich den Selfiestick raus, um unser Glück im Bild festzuhalten, als … von Ferne zwei Pferde Geschwindigkeit aufnahmen. In unsere Richtung. Ich bin nicht sehr versiert im Interpretieren von pferdischem Verhalten, aber weder ihre ambitionierte Gangart noch das begleitende Schnauben wirkten sonderlich freundlich auf mich. Ich ahnte: Wenn sie nicht bald bremsten, würde es Verletzte geben, denn auch die Hunde hatten sie inzwischen bemerkt und gerieten erneut in Panik. Ich konnte gerade noch die Leinen lösen, sie rannten los, die Pferde auf ihren Fersen. Nepomuk und Smillo waren schneller, aber sobald sie verschnauften, nahmen die Pferde erneut Anlauf.
Als sie endlich abließen, fand Nepomuk vorsichtig den Weg zurück zu mir. Smillo nicht. Bange Minuten verstrichen, bis ich ihn entdeckte, entfernt am Waldrand, außerhalb der Weide: Er hatte sich in seiner Panik über den Elektrozaun geflüchtet und wartete dort zum Glück auf uns.
In dieser Nacht schlief ich wirklich schlecht. Die Komfortzone verlassen und sich einer Herausforderung stellen ist eines – Überforderung und Angst etwas ganz anderes. Hatte ich unsere Grenzen zu sehr gestretcht? Mutete ich mir, und vor allem meinen Hunden, zu viel zu? Schließlich war ich nicht nur für mein, sondern vor allem für ihr Wohl verantwortlich! Und es war ja nicht nur der Stress des ständig wechselnden Umfelds und der langen Stunden auf den Beinen; hinzu kamen all diese beängstigenden Situationen und viel zu wenig Möglichkeiten, mal Anspannung beim Mäuseln oder Toben ohne Leine abzubauen und einfach zur Ruhe zu kommen.
Go with the Flow
Am nächsten Morgen von zwei – trotz aller Strapazen – gut gelaunten Hunden geweckt zu werden, gab mir neue Zuversicht. Ich nahm mir vor, auf mein Bauchgefühl zu achten und nur so weit zu gehen, wie wir uns alle halbwegs wohl damit fühlten. Auf diese Weise meisterten wir, Schritt für Schritt, auch die Königsetappe an Tag Vier: 21 sehr anstrengende, aber ebenso erhebende Kilometer über den 2500m hohen Mallnitzer Tauern, einen wunderschönen alten Gebirgspass, der das Gasteiner Naßfeld in Salzburg mit dem Mallnitzer Tauerntal in Kärnten verbindet.
Gut, am Tag nach dem Mammutmarsch brauchte ich selbst eine Pause, weil mich ein paar üble Blasen an den Füßen lahm legten. Und auch in den blasenfreundlichen Trekkingsandalen, die ich in einem Dorfladen fand, gerieten wir in den nächsten Tagen noch einige Male in schwierige Situationen mit Rindern und Pferden. Aber gleichzeitig wurde ich auch immer selbstbewusster gegenüber dem Vieh. Ich hatte mir von den Einheimischen Methoden abgeschaut, unsere Grenzen zu verteidigen, und meine Scheu abgelegt, andere um Hilfe zu bitten. Und wenn es irgendwie möglich war, gingen wir einfach einen Umweg um das Problem.



Wir waren endlich im ‚Flow‘: Versunken in die spektakuläre Landschaft erwanderten wir wunderbare Tage lang neues Terrain, in unserer eigenen Geschwindigkeit, mit Pausen, wann und wo wir sie brauchten. Wir genossen jeden Meter des Weges und die Welt um uns herum und vergaßen den Rest. Ohne Angst, aber voller Vertrauen darauf, dass wir gemeinsam jedes Hindernis überwinden würden, und Vorfreude auf die Aussicht, die uns hinter der nächsten Kurve erwartete.
Und dieses starke Gefühl haben wir mitgenommen nach Hause: Unsere Komfortzone ist nun ein ganzes Stück größer.


