Nach 20 Jahren in der Hauptstadt der profanen Heiterkeit hab ich die Schnauze voll.
Wobei, ich will fair sein – so ganz stimmt das nicht. Eigentlich mag ich so ein bisschen (Ver)derb(t)heit und eine abgewetzte Fassade an den Dingen ganz gerne, und davon hat Köln ganz viel. Allerdings mag ich es vor allem dann, wenn’s dahinter – unerwartet – glänzt: Understatement halt. In Köln kommt hinter der abgefuckten Fassade leider meist nix Besseres.
Aber: Köln ist cool! Die Menschen so liberal, freundlich und gesellig, besagt das Image. Und das ist teils sicher richtig. Als ich 2002 hierher zog, las ich in einem Szene-Magazin einen Städtetest der besonderen Art: Ein Journalist spielte darin in verschiedenen deutschen Großstädten einen Radfahrer, der mit plattem Reifen irgendwo in einem belebten Teil der Innenstadt gestrandet war. Das Test-Setup legte das Naturell der Einwohner schonungslos offen: Während der Havarierte in Hamburg einfach übersehen und Hilfe aktiv einfordern musste oder in München beschimpft wurde, weil er im Weg stand, bildete sich in Köln schnell eine kleine Menschentraube um ihn; alle hatten gute Ratschläge oder zumindest einen aufmunternden Spruch auf den Lippen – bloß Ahnung, oder Werkzeug, hatte keiner. So sind sie, die Kölner: Wenig Substanz, aber einen hohen Unterhaltungswert. Nach 20 Jahren Blabla geht mir die Kölsche Leichtigkeit allerdings zunehmend auf den Sack.
Der Kölner ist von Geburt unbeschwert. Unbelastet von allzu gewichtigen Gedanken und verbaler Ladehemmung erkennt man einen Ur-Kölner auch auf Reisen schon von Weitem, wenn nicht am Vokuhila mit Schnörres, dann spätestens an den Mundart-Phrasen in Maximallautstärke überm All-inclusive-Buffet. Zum Beispiel die aus dem inbrünstig gelebten „Kölschen Grundgesetz“:

Mit viel Wohlwollen könnte man diese Botschaften als rheinischen Stoizismus interpretieren; in der Praxis stehen die 11 Gebote allerdings eher für Fatalismus, Ignoranz, Untätigkeit und rosarote Realitätsverklärung. Quasi ein Wort gewordenes Schulterzucken.
Oder was genau hat Köln in den vergangenen, sagen wir, 200 Jahren nach Vollendung des Kölner Doms (und selbst für den haben sie unendlich lange gebraucht) hervorgebracht, das die grenzenlose Selbstverliebtheit der Kölner ansatzweise rechtfertigt? Gibt es irgendeine andere Stadt, die von ihren Bewohnern so penetrant besungen und bejubelt wird? Klar gibt es nette Ecken in Köln, und klar kann man hier ganz gut leben und ausgehen. Aber das kann man in eigentlich allen Städten einer solchen Größenordnung ähnlich gut, ohne gleich darüber Hymnen schreiben zu müssen! Ich vermute ja insgeheim, dass die besonders verliebten Kölner die Stadt selten für länger als 2 Wochen Malle verlassen haben und ihnen deshalb bloß der Vergleich fehlt. Denn bei aller vorgeschobenen Toleranz endet dieselbe, ebenso wie der Horizont des gemeinen Kölners, oft jäh auf der Schäl Sick, spätestens aber in Düsseldorf.

Köln ist ein städtebauliches Desaster. Seit ich hier wohne, haben sich andere Großstädte gleich nebenan in attraktive Oasen verwandelt – nur in Köln hat sich weder für Verkehrsteilnehmer aller Art geschweige denn für Hundehalter und vermutlich auch für die meisten anders definierten Bevölkerungsgruppen irgendetwas merklich verbessert. Und mit Stadtarchiv, Philharmonie, Oper, Bastei, Domhotel oder zuletzt dem neuen „Verkehrskonzept“ auf der Venloer Straße schreibt die Stadt immer wieder neue Possen des Scheiterns, die den Hardcore-Kölner offenbar wenig verunsichern, mich jedoch vermuten lassen, dass ich im Stein gewordenen Schilda gelandet bin. Ortsteil Stenkelfeld übrigens, wenn ich an die alljährliche Weihnachtsbeleuchtungseskalation in meinem Veedel denke.
A propos eskalieren: Das bringt mich zum Straßenkarneval, dem alljährlichen Höhepunkt des Irr.. äh Frohsinns, der mit seinen ollen Kamellen zwar Myriaden marodierender Partytouris anzieht und womöglich etwas Geld ins Säckl der ewig klammen Stadt spült, aber dieselbe auch für eine Woche plus nachfolgender Epidemien noch unproduktiver und schmutziger macht als ohnehin schon.
Let’s face it: Im Grunde steht Köln, neben der vordergründigen Jovialität, vor allem für massive Selbstüberschätzung bei allgemeiner Plan- und Erfolglosigkeit. Für dysfunktionale Infrastruktur, Klüngel, Dreckecken und Hässlichkeit, zweifelhaften Geschmack, dünnes Bier, schlechte Sportmannschaften, aufdringliche Musik und Zwangsverbrüderung.
Womöglich schwingt in meinem harten Urteil auch ein klein wenig Neid mit, weil ich mich selbst schwertue, Realität, Hirn und Selbstreflexion auf Kommando auszuschalten und einfach mal die Sau rauszulassen, das gebe ich gerne zu. Mit Ü50 kenne ich mich gut genug und weiß, dass ich in der extravertiertesten Stadt der Welt eher der Pinguin an Land bin: Ist halt nicht (mehr) mein Element! Ich mag mich nicht mit Alkohol stimulieren, um irgendwas zu verdrängen und eine gute Zeit zu haben. Ich hasse Smalltalk. Wenig ist mir mehr zuwider als agitierte Menschenmassen, denen ich nicht sofort entfliehen kann, und Zwangsschunkeln mit schwitzenden, angetrunkenen Fremden, die ich womöglich nicht leiden könnte, wenn ich sie kennte. Grundloser Überschwang und substanzloses Geschwätz, dem keine Handlung folgt – brrrrr.

Ich mag echten Austausch statt Dauerbeschallung, Tiefgang statt Flachwitz, mehr Ruhe als Lärm um nichts, und einen offenen Blick, der nicht schon auf der anderen Rheinseite endet.
Deshalb ziehen wir demnächst ans Meer. Den Pinguin und die Schnauze(n) freut’s.









